Phänotypisierung – Mit Fraunhofer-Technologie und bewusstem Verhalten gegen den Kaffeemangel

27. März 2023 | Phänotypisierung von Kaffeepflanzen

Die Folgen des Klimawandels setzen der empfindlichen Kaffeepflanze enorm zu. Falls keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden, werden mittelfristig über die Hälfte der Anbauflächen nicht mehr geeignet sein, warnen Fachleute. Katrin Simon vom Botanischen Garten Erlangen, Julie Mildenberger vom Weltladen Erlangen und Joelle Claußen vom Fraunhofer IIS erklären, wie Phänotypisierung von Kaffeepflanzen, Experimentierfreude und bewusster Konsum dafür sorgen können, dass Kaffee trotz Klimawandel und Rohstoffverknappung auch morgen noch dem täglichen Genuss dient.

Forscherinnen prognostizieren, dass die Klimaerwärmung derart großen Einfluss auf den Kaffeeanbau haben wird, dass der weltweite Kaffeebedarf nicht mehr gedeckt werden kann. Können Sie die Zusammenhänge näher erklären? 

Katrin Simon: Klimawandel trifft es besser als Klimaerwärmung. Eine Pflanze braucht zum Leben Sonne, Regen, eine gewisse Witterung. Wenn sich das Klima verändert, ist das für die sensible Kaffeepflanze ein Problem. Veränderte Frostereignisse, mehr oder weniger Niederschlag, Starkregen, Dürreperioden führen dazu, dass der Kaffee zu kämpfen hat und der Anbau schwieriger wird. In Brasilien gab es zum Beispiel 2021 tatsächlich Frost, woraufhin ein Großteil der Kaffeeernte erfroren ist.

Julie Mildenberger: Die Situation in Brasilien hat dazu geführt, dass der Kaffeepreis dieses Jahr um durchschnittlich 35 % enorm gestiegen ist. Laut Schweizer Forschenden werden bis 2050 die Anbauflächen weltweit um über die Hälfte schrumpfen, in Brasilien sind von den hochwertigen Flächen sogar 97 % bedroht. Aber warum in die Ferne schweifen: Auch die Landwirtschaftstreibenden hier in der Region haben Sorge wegen der Dürre und den stark wechselnden Niederschlägen. 

 

Gutes Stichwort: vor Ort. Ist es – vielleicht mit technischer Hilfe – denkbar, dass Kaffee künftig auch in unseren Breitengraden im großen Stil angebaut wird? 

Joelle Claußen: Um die gängigen Sorten – Arabica oder Robusta – hier anzubauen, müsste sich das Klima schon deutlich ändern. Am Entwicklungszentrum Röntgentechnik untersuchen wir, wie Pflanzen auf das Klima reagieren, wenn es zu heiß oder zu trocken ist, zu viel Dünger oder zu wenig Dünger gibt. Meiner Meinung nach ist es daher jetzt vor allem wichtig, Kaffeesorten zu züchten, die geschmacklich gut sind, aber auch mit veränderten klimatischen Bedingungen zurechtkommen.

Julie Mildenberger: Kaffee verträgt keinen Frost und ist damit definitiv kein geeignetes Anbauprodukt für europäische Breitengrade. Ich sehe das ohnehin kritisch, weil Kaffee ein Genussmittel ist und der prioritäre Auftrag der Landwirtschaft in der Ernährung liegt – jede Fläche, die für Kaffee verwendet wird, fehlt ja im Zweifel für ein Grundnahrungsmittel. Europa hat als Getreide-Exporteur einfach andere Schwerpunkte als Kaffee. 

Katrin Simon: Wenn überhaupt, lässt sich Kaffee hier im Gewächshaus züchten, das ist allerdings mit Blick auf die Energiebilanz und die Heizkosten nicht sinnvoll. Man muss sich klarmachen, dass wir nicht unendlich viel Kaffee zur Verfügung haben – Kaffee wird wieder zum Luxusgut. Und man muss überlegen: Was ist es mir wert, weiter Kaffee zu trinken?

 

Gibt es denn Pflanzen, die man dergestalt resistent züchten kann, dass sie den Herausforderungen des Klimawandels trotzen können?

Joelle Claußen: Um die Pflanzen resistenter gegen Umwelteinflüsse oder Schädlinge zu züchten, müssen sie zunächst genau untersucht werden. Bei der Phänotypisierung testen wir an den Kaffeepflanzen systematisch, was Züchtende manuell machen: Oberirdisch arbeiten wir mit optischen Methoden, unterirdisch mit Röntgentechnik – und sehen so, wie sich das Wachstum der Pflanze entwickelt und wie sie auf Umwelteinflüsse reagiert. Mittels Sensorik objektivieren, vereinfachen und beschleunigen wir die Testung, die bei mehreren Hektar Feld enorm aufwändig wäre.

Julie Mildenberger: Gut wäre es auch, den Kaffeeanbau dem Klimawandel anzupassen. Die Kaffeebauern und -bäuerinnen reagieren bereits: In Peru sind die Anbaugebiete von 1200 auf 1400 Meter Höhe verschoben worden, um die Effekte des Klimawandels auszugleichen. Man stellt sich den Kaffeeanbau so romantisch vor – dabei geht’s hier ums nackte Überleben. Daher mein Plädoyer, diese Menschen durch fair gehandelten Kaffee zu unterstützen. Weil man auf kleineren Anbauflächen feiner austarieren und mehr probieren kann, entwickeln sich schnell neue Anbaumethoden. Die kleinbäuerlichen Strukturen sind natürlich nicht die wirtschaftlichsten, dafür tragen sie so viel Positives zum Landschaftsbild und unserer Gesellschaft bei. 

Katrin Simon: A propos Gesellschaft: Es ist wichtig zu wissen, dass Robusta anders schmeckt als Arabica, dafür ist sie deutlich stabiler, widerstandsfähiger und damit leichter anzubauen. Eine regional angebaute Tomate aus dem Bioladen schmeckt ja auch anders als eine importierte Cocktailtomate aus dem Discounter. Wir können dem Klimawandel nur trotzen, wenn ein Umdenken erfolgt. Je mehr Arten kultiviert werden und als Open-Source-Saatgut zur Verfügung stehen, desto besser kann man mit der Züchtung gegensteuern. Die Bandbreite der Arten ist der Gewinn, der die Existenz des Kaffees künftig sichern wird – weil wir dann breit aufgestellt sind gegen mehr Niederschlag, Dürre und Schädlinge. Und als verantwortungsvolle Consumer Citizens können wir alle Maßstäbe setzen, indem wir uns an bestimmten Siegeln orientieren und bewusst einkaufen. Wir haben die Verantwortung, mutig zu experimentieren und auch Robusta eine Chance zu geben. 

 

Welche anderen Möglichkeiten bieten sich an, um dem drohenden Kaffeemangel zu begegnen? 

Julie Mildenberger: Klimaschutz gibt es nicht ohne faire Preise. Es geht darum, dass man sich vor allem an biologischem Anbau orientiert, der ganz anders eingreifen kann, um die Pflanzen auf diese veränderten Klimabedingungen einzustellen. Und Biolandwirtschaft kostet nun mal Geld – die Kleinbauern können sich mit dem, was wir bisher bereit sind, für unseren Kaffee zu bezahlen, nicht finanzieren. Selbst, wenn die Kaffeepreise gestiegen sind, sind sie immer noch um ein Vielfaches zu niedrig, um abzubilden, wieviel Arbeit damit verbunden ist und was diese biologischen Strukturen eigentlich bräuchten. 

Joelle Claußen: Momentan wird ja viel an Kaffee-Ersatzstoffen geforscht: Lupinenkaffee, Pilzkaffee oder koffeinhaltigen Kakao. Ich glaube, dass die Zucht resilienter Pflanzen ein guter Ansatz ist. Und auf der anderen Seite darauf zu achten, den Klimawandel etwas zu bremsen. Vielleicht kann man als einzelner wenig tun, aber in der Gesamtmasse kann die Menschheit viel tun, um den Kaffee und die Anbaugebiete zu retten. 

 

Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Ein Aphorismus sagt Kaffeepausen sind Tankstellen für Geist und Gemüt. Weise Worte oder Nonsens?

Julie Mildenberger: Ich brauche nicht unbedingt Kaffee, aber die Pause brauche ich. Sie ist Tankstelle für Geist und Gemüt. Ob ich einen Kaffee trinke, einen guten Tee oder ein Eis esse, ist mir egal. Es ist einfach wichtig, die eigenen Routinen ab und an zu überdenken und zu ändern. Früher war die Raucherpause ein gängiges Ritual: Sie war immer ein Argument, rauszugehen und sich auszutauschen. Heute raucht fast niemand mehr. Ich bin sicher, dass es nach dem Kaffee einen neuen Pausenmacher geben wird. 

Katrin Simon: Das geht mir ganz genauso, die Pause ist der springende Punkt. Ich trinke eine Tasse Kaffee am Tag, sonst nur Kräutertee. Natürlich war das ein drastischer Schritt, aber für mich ist diese Lösung gangbar und ich bin gespannt, was der nächste Schritt auf dem Weg ist. Jedenfalls schätze ich Kaffee viel mehr seither und zelebriere ihn auch anders. Insofern: Mein Plädoyer für die Pause, ob mit oder ohne Kaffee.

Joelle Claußen: Unser Treffpunkt ist eine kleine Kaffeeküche, wo man sich mit den Kolleginnen und Kollegen austauscht und auch mal kurz darüber sprechen kann, wenn einen gerade irgendetwas ärgert. Und bei der Kaffeepause geht es schon um den Kaffee, aber es ist sicher auch viel Zeremonie dabei. Ein Tee oder ein anderes Getränk wären auch okay – aber bei Kaffee sind sich doch viele einig. Insofern: Weise Worte, den Kaffee und die Kaffeepausen zu haben ist auf jeden Fall eine gute Sache.

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