»AIR«: Antriebsbatterieinspektion mittels Röntgen

Das vollständige Röntgen endmontierter Fahrzeuge lässt sich aktuell nur an wenigen Orten weltweit unter Laborbedingungen realisieren – unter anderem am Entwicklungszentrum Röntgentechnik des Fraunhofer IIS mittels XXL-Computertomographie. Die Prozedur ist allerdings aufwendig und kostspielig, sodass deren Einsatz gegenwärtig Unternehmen vorbehalten bleibt, die insbesondere sicherheitsrelevante Bauteile im Entwicklungsprozess überprüfen.

Mit dem neu entwickelten AIR-System (Antriebsbatterieinspektion mittels Röntgen) ändert sich das: Das System ermöglicht es, die mechanische Integrität von Batteriemodulen visuell zu bewerten, indem ein Röntgenbild des Fahrzeugs und der im Unterboden montierten Antriebsbatterie aufgenommen wird. Hierfür wird das Fahrzeug in das Messsystem hineingefahren – der Messaufbau erinnert an eine klassische Waschanlage.

Die Röntgenaufnahmen werden aus der Vogelperspektive erstellt. Die über dem Fahrzeug positionierte Röntgenquelle emittiert einen feinen Röntgenstrahl, der das Fahrzeug einschließlich der Batterie passiert und von einem am Boden positionierten Detektor aufgefangen und verarbeitet wird. Selbst in voll gekapselten Batteriemodulen ist eine Detailbetrachtung der Batterie möglich, um Aussagen über den mechanischen Zustand einzelner Batteriezellen, des Batterierahmens und weiterer Merkmale treffen zu können. Diese Informationen können beispielsweise genutzt werden, um einzelne Bestandteile des Fahrzeugs oder der Batterie hinsichtlich Lage, Ausrichtung oder Unversehrtheit zu analysieren und zu bewerten.

© Fraunhofer IIS/Christina Müller
Der Messaufbau des AIR-Röntgensystems erinnert an eine klassische Waschanlage: Die über dem Fahrzeug positionierte Röntgenquelle emittiert einen feinen Röntgenstrahl, der das Fahrzeug einschließlich der Batterie passiert und von einem am Boden positionierten Detektor aufgefangen und verarbeitet wird.

Großes Marktpotenzial

© Fraunhofer IIS
Vollständiger Scan der Batteriemodule eines Elektrofahrzeugs mit dem AIR-Portal. Deutlich sichtbar sind die einzelnen zylindrischen Batteriezellen und deren richtige Lage, wodurch eine Beschädigung auszuschließen ist.
© Fraunhofer IIS/Christina Müller
Michael Salamon, Gruppenleiter für Hochenergie-Röntgensysteme, stellt die neuartige Prüfmöglichkeit für Batterien von Elektro-Fahrzeugen vor.

Die Verbreitung vollelektrischer Fahrzeuge ist seit 2020 stark gestiegen. Laut Zahlen des Bundesumweltamts wurden im Jahr 2019 nur etwa 63.000 Exemplare verkauft, während es 2023 mit rund 524 000 Fahrzeugen fast neunmal so viele waren. Dadurch stieg auch der Marktanteil vollelektrischer Fahrzeuge von 1,8 % im Jahr 2019 auf 18,4 % im Jahr 2023 innerhalb von vier Jahren deutlich an. Auch wenn es noch ein weiter Weg bis zu den von der Bundesregierung angestrebten 15 Millionen Elektrofahrzeugen im Jahr 2030 ist, erfreut sich die Elektromobilität zunehmender Beliebtheit.

Bislang ist die fundierte Begutachtung und Zustandsbewertung der Antriebsbatterie – beispielsweise eines Gebraucht- oder Umfallfahrzeugs – nur sehr rudimentär möglich. Das bremst insbesondere das Vertrauen in die Technologie und hemmt den Gebrauchtwagenmarkt im Elektrobereich.

Das AIR-Röntgensystem hat das Potential, zum Standardwerkzeug für die objektive Begutachtung und Bewertung von Elektrofahrzeugen zu werden – schließlich handelt es sich bei der Antriebsbatterie um das mit Abstand kostspieligste Bauteil des Fahrzeugs. Das neue System ist dabei speziell auf die Anforderungen einer möglichst schnellen und kostengünstigen Prüfung ausgelegt, die eine unkomplizierte Zugänglichkeit der Technologie fördert und eine schnelle Verbreitung im Markt ermöglicht. Die Messzeit pro Fahrzeug beträgt aktuell etwa zehn Minuten, was eine unkomplizierte Integration in bestehende Prüfprozesse zulässt.

Stimmen zum Projekt

Michael Salamon, Fraunhofer IIS: »Mit der AIR-Technologie erschließt sich erstmalig die Möglichkeit, eine detaillierte Betrachtung des Fahrzeugunterbodens schnell und einfach vorzunehmen. Mit der Ausrichtung der Technologie auf den Lebenszyklus von Fahrzeugen, leistet das Fraunhofer IIS im Rahmen einer Strategischen Initiative Pionierarbeit, um das Vertrauen in die noch junge Technologie zu steigern und so unter anderem den im Entstehen befindlichen Gebrauchtwagenmarkt zu fördern.«

Prof. Klaus Böhm, Hochschule München: »AIR hat das Potential, die Gutachtenerstellung im Kontext der Elektromobilität – und darüber hinaus – zu revolutionieren. Die beschriebenen Grenzen der bisher angewandten Methoden können unter Einbeziehung von AIR in einen multidisziplinären Ansatz signifikant erweitert werden. Dies wird zu einer Reduzierung der Reparaturkosten bei Elektrofahrzeugen beitragen. Genauere und belastbarere Gutachten können zudem zu kalkulierbareren Gebrauchtwagen-Prozessen und zu günstigeren Versicherungsprämien bei Elektrofahrzeugen führen.«