Innovation in Mittelfranken. Wo kommt sie her und wo will sie hin?

18. Mai 2018 | Ein Interview mit Pierre Leich, Wissenschaftshistoriker und Kulturmanager.

Guten Tag Herr Leich, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für uns nehmen. Wir wollen darüber sprechen, dass die Metropolregion Nürnberg sehr innovativ ist. Nun wüsste ich gerne von Ihnen, warum ist das denn so?

Ich denke, das Wesentliche ist, dass der Schulterschluss von Wissenschaft und Wirtschaft hier in der Region wirklich funktioniert. Das kann man schon in der Zeit des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit dingfestmachen. Am Beispiel der Freien Reichsstadt Nürnberg, die ja durchaus ein geographisches Drehkreuz europäischen Ranges war. Dadurch kam immer viel Neues in die Stadt. Aber Nürnberg hatte auch selbst einiges zu bieten.

Heute am Tag des Interviews ist ja der 19. Februar. Vor exakt 545 Jahren wurde Nicolaus Copernicus geboren. Copernicus‘ Hauptwerk entstand 1543 zu Füßen der Kaiserburg.

© Pierre Leich
Pierre Leich – Projektleiter der kulturidee GmbH.
Nikolaus Copernicus etablierte das moderne Weltbild der Erde, die sich als Planet um die Sonne dreht.
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Nicolaus Copernicus (1473 – 1543) etablierte das moderne Weltbild der Erde, die sich als Planet um die Sonne dreht.
Johannes Kepler fand heraus, nach welchen Gesetzmäßigkeiten sich die Planeten bewegen. Diese nennt man Keplersche Gesetze.
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Johannes Kepler (1571 – 1630) fand heraus, nach welchen Gesetzmäßigkeiten sich die Planeten bewegen. Diese nennt man Keplersche Gesetze.
Dieter Seitzer ist Gründer des Fraunhofer IIS und Förderer des mp3-Formats.
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Prof. Dieter Seitzer (geboren 1933) ist Gründer des Fraunhofer IIS und Förderer des mp3-Formats.

Wenn man in die gegenwärtigen Zeiten schaut und das im Hinblick auf Bevölkerungsmenge und Wirtschaftspotenz in Relation setzt, dann ist, was die Anzahl der eingereichten Patente anbelangt, Mittelfranken von allen 88 deutschen IHK-Regionen die stärkste. Das liegt an Siemens und Schaeffler, aber auch an wissenschaftlichen Einrichtungen wie der Universität Erlangen-Nürnberg und insbesondere am Fraunhofer IIS.

Woher kommt diese Innovationsfreudigkeit? Ist es die Vernetzung? Oder sind es vielleicht auch die Leute?

Also, um ehrlich zu sein, glaube ich, dass innovative Menschen in allen Regionen sind. Aber was vielleicht bemerkenswert an der hiesigen Region ist: Es gibt einen gesunden Mix an wissenschaftlichen Einrichtungen, deren Mitarbeiter auch anwendungsorientiert denken, und durchaus auch ein gewisses Maß an Großindustrie, aber insbesondere einen profunden Mittelstand. Ich würde eher die Vielschichtigkeit der Struktur betonen als den Genius einzelner Leute.

Spielt da die fränkische Mentalität mit rein? Wir Franken sind ja bekanntlich sehr stur...

Tja, das ist schwer zu sagen. Zunächst einmal sind wir »Frangen« ja auch dahingehend verrufen, dass bei neuen Ideen die Bedenken überhandnehmen und alles so madig gemacht wird, dass nichts in die Gänge kommt. Aber ich glaube, die Franken besinnen sich immer mehr darauf, Stärken zu betonen, als immer nur Schwächen ausfindig zu machen.

Und natürlich auch darauf, anwendungsorientiert zu denken. Denn von den Erfindungen alleine wird man nicht satt. Diese praktische Herangehensweise könnte man vielleicht wieder als fränkischen Wesenszug kenntlich machen. Eben nicht zu sehr im Theoretischen verbleibend, sondern gleich überlegen: Kann man da etwas Praktisches draus machen?

Was ist Ihre Zukunftsprognose für die Region? Wird Franken noch innovativer?

Ich war selbst positiv überrascht, als ich auf der Karte der »Hidden Champions« also der Marktführer aus dem Mittelstand, ein fettes Nest in Oberfranken gefunden habe. Vielleicht zeigt sich hier die von Ihnen angesprochene Sturheit. Denn da haben sich – behutsam und solide – über die Jahre große Unternehmen herausgebildet, die in ihrem Segment Weltmarktführer sind.

Deutschland wird kaum mit seinen unermesslichen Rohstoffen punkten, und aufgrund unseres Lohnniveaus werden wir auch kaum die Werkbank der Welt werden. Da kann's eigentlich nur die Innovation sein. Das clevere Umsetzen, das Geschicktsein – und da sehe ich unsere Region auf einem guten Weg.

Welche Rolle spielt dabei das Fraunhofer IIS?

Das Fraunhofer IIS hat eine große wirtschaftliche Potenz. Es stellt Hunderte von Arbeitsplätzen, kooperiert mit zahlreichen Firmen in der Region und ist Keimzelle vieler neuer Ideen für die Wirtschaft.

Viele Leute wissen ja gar nicht, was hier alles wissenschaftlich so passiert. Um das zu ändern, gibt es unter anderem die Lange Nacht der Wissenschaften.

Ja, das ist wahr! Gerade mp3 ist ein gutes Beispiel: Das kennt jeder. Aber noch vor ein paar Jahren wusste kein Mensch, dass mp3 hier in der Metropolregion Nürnberg entstanden ist. In der Langen Nacht der Wissenschaften können die öffentlichen Forschungseinrichtungen zeigen, was sie mit den Steuergeldern machen, und die Firmen können sich als innovative Arbeitgeber präsentieren. Und die Bevölkerung hat ein zunehmendes Interesse an Wissenschaft.

Wie hat sich die Lange Nacht der Wissenschaften seit 2003 entwickelt?

Die Besucherzahl hat von zwölf- bis nun zu über dreißigtausend kontinuierlich zugenommen. Die Köpfe wichtiger Einrichtungen – von der Universität aber auch von Fraunhofer – waren frühzeitig davon eingenommen. Aber die Lange Nacht ist keine reine Hochschulveranstaltung, sondern alle können teilnehmen, sodass wir ein sehr vielfältiges Bild von moderner Wissenschaft zeigen.  

Da zeigt sich dann auch wieder, dass man sich in der Region gegenseitig unterstützt.

Ja, dieses Zusammenwirken ist beeindruckend. Das Netz der Kooperation ist über Jahrhunderte hinweg zusammengewachsen und da beneiden uns auch viele drum.

Im Fraunhofer IIS in Erlangen stand in der letzten Langen Nacht der Wissenschaften eine Kamera, die die Wünsche der Besucherinnen und Besucher an die Technik aufgezeichnet hat. Da waren gute Ideen dabei, was hat Ihnen denn gefallen?

Naja, der Beamer für Menschen wird wohl noch eine Weile dauern. Aber der Robo-Körper ist natürlich ein Thema. Auch Ideen zum häuslichen Bereich gefallen mir (zitiert): »Wir wünschen uns einen automatischen Sockenumdreher wegen der Socken unserer Söhne.« Das passt gut zum Wunsch von jemand anderem, der möchte, dass die Kleidung von alleine in den Schrank schwebt.

Haben Sie selber auch einen Wunsch an die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler?

Ich würde mir eine Instanz wünschen, die über Nacht mein Unterbewusstsein mit meinem Computer verbindet, sodass mich der Rechner dann früh schon mit Textvorschlägen begrüßt und ich nur sagen kann: Super, ich hätt's nicht besser formulieren können. (Lacht)

Zum Thema Erfindungen: Gab es Erfindungen in der Region, mit denen man nicht gerechnet hätte?

Man hört oft, dass der Globus hier erfunden wurde. Das ist er sicher nicht! Wahrscheinlich kommt er irgendwo aus Oberitalien. Der Beheim-Globus aus Nürnberg ist nur der älteste erhaltene Globus der Welt. So ist es korrekt. Aber erst vor einigen Monaten kam heraus, dass der Schreibkalender hier in der Region erfunden wurde. Dieses praktische Schreibutensil, das fast jeder von uns zwecks seiner Termine bei sich hat. Der, der das erfunden hat, stammte hier aus der Region.

Das war dann ein sehr organisierter Franke.

(lacht) Genau!

Das ist doch eine schöne Zukunftsperspektive. Wir danken Ihnen für das Gespräch.

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