Fernsehpreis für eine Technologie? Fraunhofer IIS gewinnt Emmy® Award mit JPEG XS

3. Dezember 2025 | Interview mit Siegfried Fößel

Das Team um Prof. Dr. Siegfried Fößel hat einen Emmy® Award for engineering, science and technology für die Entwicklung eines neuen Video-Codecs erhalten: JPEG XS macht eine nahezu verlustfreie Übertragung von Videoinhalten via Standard-Internet-Protokoll in der Medienproduktion, bei Live-Übertragungen und im Studio möglich. Damit ist die Technologie ein Meilenstein für die Fernsehproduktion, aber auch für weitere Industriezweige, wie Fößel im Interview erläutert.

Herr Fößel, herzlichen Glückwunsch für Sie und Ihr Team zu diesem großartigen Erfolg! Wie haben Sie von dem Gewinn erfahren und wie war Ihre Reaktion? 


Herzlichen Dank – ja, der Gewinn hat uns sehr gefreut und wir waren im ersten Moment auch ein bisschen erstaunt, obwohl wir unsere Technologie ja eingereicht hatten. Aber den Emmy dann wirklich zu gewinnen, das hat uns dann doch überrascht. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes überrascht – ich war gerade im Baumarkt, kurz vor 20.00 Uhr, als ein Anruf aus den USA auf meinem Handy reinkam. Ich musste mich erst einmal hinsetzen, als ich die Nachricht vom Gewinn erhielt, was allerdings so kurz vor Ladenschluss keinen dort erfreut hat. Also bin ich dann schnell in mein Auto gestiegen, um das Gespräch mit der Jurypräsidentin fortzusetzen. Und danach ging es kaum zwei Stunden später auch schon weiter – in Kalifornien war es ja gerade Vormittag – und wir haben alle Informationen für die nächsten Schritte erhalten. Das heißt, ich habe erstmal mein engstes Team und die Institutsleitung informiert, die Flüge buchen lassen und die notwendigen PR-Maßnahmen vorbesprochen.

Was genau ist der »Technik-Emmy« – oder anders gefragt: Wie kann man mit einer Technologie einen Fernsehpreis gewinnen? 


Im Gegensatz zu Europa oder Deutschland werden die uns bekannten Trophäen wie Emmy und auch der Oscar nicht nur an die Schauspieler, Musikerinnen oder Künstler vor der Kamera und an die entsprechenden Aufnahmeteams verliehen. In den USA werden auch innovative Technologien bzw. die entsprechenden Technikfirmen für Entwicklungen geehrt, die einen erheblichen Beitrag zur Weiterentwicklung der TV- und Filmbranche leisten. Und da gehören eben auch Entwicklungen wie JPEG XS als Codec-Technologie dazu, die es möglich macht, über Standard-Ethernet mit einer Latenz von weit unter einem Bild pro Sekunde hochaufgelöste Bilder bis 8k direkt aus der Kamera in den Übertragungswagen oder ins Sendestudio zu streamen. Das war bisher nicht möglich oder nur mit Verzögerung. Ebenso wichtig für die Auszeichnung ist der Nachweis, dass mit dieser Technologie bereits relevante Sendungen erzeugt oder in unserem Falle übertragen wurden – das heißt, der Nachweis des praktischen Einsatzes ist essenziell. JPEG XS wurde bereits bei den Live-Übertragungen von Olympia in Paris eingesetzt und hat sich damit in die erste Auswahlliga gespielt.

Sie haben die Technologie vor Kurzem folgendermaßen beschrieben: »Wir haben – bildlich gesprochen – versucht, das bekannte ›Kamel durch das Nadelöhr‹ zu bekommen, ohne dass es Schaden nimmt«. Was bedeutet das genau?


Dieses Bild soll die Herausforderung widerspiegeln, der wir uns gegenübersahen: Bei der Übertragung von hochaufgelösten Bildern mit hoher Datenrate im professionellen TV-Bereich wird spezielle Hardware benötigt, um die Übertragung zu gewährleisten. Anders als wir es vom Handy kennen, können dazu die Bilder nicht stark komprimiert werden, da verschiedene Verarbeitungsschritte auf dem Originalmaterial wie z. B. Farb- und Beleuchtungsanpassung, Integration von virtuellen Objekten etc. passieren müssen. Daher war die Herausforderung, die Originalbilder zwar etwas zu komprimieren, aber nur so stark, dass es zu keinen Artefakten oder zu starker Verzögerung kommt. Und man wollte spezielle Übertragungskabel, die leistungsbegrenzt große Entfernungen nicht überbrücken können, vermeiden.

Das heißt, mit JPEG XS ist es meinem Team gelungen, einen Codec zu entwickeln, der zum einen wenig-komplex (low complexity) in bereits bestehende Bauteile in einer Kamera oder bestimmter Studiohardware integriert werden kann und zum anderen die Bilddaten nur so stark komprimiert, dass sie visuell verlustlos und in Echtzeit übertragen werden können. Also das Kamel durch das enge Nadelöhr eines 1-GByte-Ethernetkabels zu schieben und es dann aber nahezu in Echtzeit auf der anderen Seite völlig unbehelligt auf vielen Monitoren gleichzeitig bzw. direkt in den Ü-Wagen transferieren zu können. Dies bedeutet gerade in der TV-Produktion nicht nur ein schnelleres und effizienteres Arbeiten, sondern auch eine erhebliche Kostenersparnis.

Wie funktioniert die Technologie? Welches Problem löst die Technologie?


Bis jetzt war die Echtzeit-Übertragung ohne Verzögerung in der Produktion mit einem großen Aufwand an Spezialhardware, riesiger Rechenleistung und speziellen Datenkabeln mit begrenzter Kapazität verbunden. Die Herausforderung war nicht nur, dieses jeweils vorhalten und transportieren zu müssen, sondern auch ein ganz erheblicher Kostenaufwand. Die Masterfrage war es daher, diesen Aufwand zu minimieren, Problematiken mit Echtzeitfähigkeit und hoher Qualität zu lösen und alles auf Ethernet – also als sogenannten All-IP-Workflow – umstellen zu können. Dies konnte nur über eine spezielle Codierung funktionieren, bei der von Anfang an speziell diese Anforderungen und die Übertragung über Internet Protokoll (IP) ins Auge gefasst wurden.

Mit Ihrer Technologie haben Sie bereits im Juni 2025 den Fraunhofer-Preis gewonnen: Inwiefern hängen diese Erfolge zusammen und warum haben Sie diese Auszeichnungen gerade in diesem Jahr erhalten?


2025 war wirklich unser Highlight-Jahr für den Durchbruch der Technologien und einer großen Anzahl an Praxis-Implementierungen. Wir konnten die Leistungsfähigkeit des Codecs auch unter Stressbedingungen realer Übertragung bzw. in professionellen Geräten und Abläufen unter Beweis stellen. Erste Pilotanwendungen zusammen mit dem japanischen TV-Anbieter NHK und Astrodesign oder der deutschen Firma Ihse GmbH als Anbieter professioneller Mediengeräte, gab es schon zuvor. Aber in den letzten beiden Jahren hat der Markt für die Umstellung auf JPEG-XS-basierte Lösungen deutlich angezogen, da die Vorteile von JPEG XS sich weiterverbreitet haben. So konnten wir mit Nvidia eine Lücke für deren Arbeitsabläufe mit unserem JPEG XS SDK schließen, Ihse nutzt JPEG XS in ihren KVMs (keyboard video mouse), Kameraanbieter wie RED und ARRI haben JPEG XS-Schnittschnellen in ihre Kameras integriert und viele weitere Partner konnten für den Einsatz von JPEG XS gewonnen werden. Nicht zuletzt haben die Entscheidungen von Sendeanstalten und Streaminganbietern, JPEG XS in ihren Live-Arbeitsabläufen z. B. für die Übertragung der Olympischen Spiele einzusetzen, die Bedeutung von JPEG XS als den kommenden Standard für Broadcast hervorgehoben. Grund genug sowohl für unsere eigene Wissenschaftsjury als auch für die Television Academy uns mit den entsprechenden Preisen auszuzeichnen.

Wann und wie sind Sie auf die Idee gestoßen, an einem neuen Codec wie JPEG XS zu arbeiten? Gab es einen Schlüsselmoment, der Sie motiviert hat?


Den Schlüsselmoment als solchen gab es nicht, sondern eher die Erkenntnis aus Markt- und Technologiebeobachtungen, dass die Auflösungen auch in typischen Broadcastszenarien über HD hinausgingen und damit die unkomprimierte Übertragung von Bilddaten im Produktionsbereich zu immer größeren Problemen führte. Und zweitens, dass die Arbeitsabläufe sich immer stärker vernetzen und ein ständiges Hin und Her zwischen Formaten und Geräten nicht nur zeit- und kostenaufwendig ist, sondern auch die Qualität der Bildübertragung verringert. Das heißt, wir wollten eine Möglichkeit schaffen, einen kontinuierlichen Arbeitsablauf von der Kamera bis zur Ausstrahlung zu gewährleisten.

Sie sind ein Team aus mehr als zehn Personen – wie verläuft die Arbeit an einem Video-Codec? Welche Disziplinen müssen für einen solchen Erfolg zusammenwirken?


Unser Team setzt sich aus verschiedensten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Ingenieurwissenschaft, Mathematik und der Wirtschafts- und Medienwissenschaften zusammen. Bei der Entwicklung schlägt zunächst die Stunde der Ingenieure, Informatiker und Mathematiker, die in den Standardisierungsgremien ihre Technologien entwickeln, vorstellen, verbessern und auch gegen andere Technologien evaluieren – bis letztendlich ein Codec als Standard verabschiedet werden kann. Ebenso wichtig sind die Algorithmiker, die den Codec ständig effizienter gestalten, und diejenigen, die dann die Algorithmik auf verschiedene Plattformen abbilden – ebenfalls wichtige Schritte für den späteren Markterfolg.

Ich möchte an dieser Stelle auch betonen, wie wichtig Kreativität, Ausdauer und Beharrlichkeit bei der Entwicklung sind, um eine Technologie so weit zu bringen – und darauf bin ich bei meinem Team besonders stolz.

Und last but not least unsere Business- und Kommunikationsleute, die potenzielle Use-Cases identifizieren, Bedarfe klären und dann anschaulich und verständlich kommunizieren. Denn die beste Technologie hat keinen Erfolg, wenn die Anwendenden bzw. die entsprechenden Systemintegratoren nicht oder zu spät davon Kenntnis erlangen. Das heißt, nur in einem interdisziplinären Umfeld kann Technologieführerschaft auch in Markterfolg umgewandelt werden.

Welche Wirtschaftszweige können neben der Filmbranche zukünftig noch von JPEG XS profitieren?


JPEG XS ist überall dort geeignet, wo es darum geht, hochaufgelöste Bilddaten in Echtzeit für weitere Analyse zur Verfügung zu stellen. So zum Beispiel in der Automobilindustrie beim autonomen Fahren, im Streaming zu Computerzentren und zur Cloudanbindung sowie in Bereichen der industriellen Qualitätsprüfung oder auch in der Telemedizin.

 

Vielen Dank für das Interview, Herr Fößel.

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