Aus dem Schlaf erwacht

19. Januar 2018 | Idee und Entwicklung des Ultra-Low-Power WakeUp-Receiver RFicient®

Erfolge fallen nicht vom Himmel. Sie haben oft lange Vorgeschichten, in denen sich Fortschritte, Rückschläge und überraschende Kehrtwenden abzeichnen. Lesen Sie im Tagebuch der Entwickler Heinrich Milosiu und Frank Oehler, wie die Ultra-Low-Power-Funkempfängertechnologie RFicient® entstanden ist – von der ersten Idee bis zum entscheidenden Durchbruch.

Juni 2007 – So hat es angefangen

Frank Oehler: »Bei unserer gemeinsamen Kaffeerunde mit den Kollegen von der Abteilung Hochfrequenztechnik und RFIC (Radio Frequency Integrated Circuits) haben wir eine interessante Idee: ein Funkempfänger, der sehr schnell reagiert, lange in Betrieb ist und auch noch Strom spart. Josef Bernhard, Gruppenleiter in der Abteilung Hochfrequenztechnik, meint: »Ein Ultra Low Power-WakeUp-Receiver wäre cool.« So etwas würde bestimmt gebraucht, zum Beispiel für drahtlose Sensornetzwerke. Wie kann es eigentlich sein, dass es so etwas noch nicht gibt? Mein Kollege Heinrich Milosiu sieht darin eine Riesenchance und beantragt eine Studie. Darin sollen WakeUp-Receiver-Konzepte und evtl. auch Schaltungsvorschläge für eine spätere Implementierung erarbeitet werden.«

© Fraunhofer IIS/Glasow
Frank Oehler: »Wie kann es sein, dass es so etwas noch nicht gibt?«
© Fraunhofer IIS/Glasow
Heinrich Milosiu: »Anwender können von stromsparenden Funkempfängern profitieren.«

Mai 2008 – Projektphase beginnt

Heinrich Milosiu: »Heute haben wir einen Grund zum Feiern! Wir, Christian Flügel von der Abteilung Kommunikationsnetze und ich, haben im Leitungskreis des Fraunhofer IIS unser Konzept für einen WakeUp-Receiver-IC vorgestellt. Unsere Erwartungen waren zunächst nicht besonders hoch, weil wir ja noch keinen bahnbrechenden Ansatz haben. Aber Prof. Alexander Pflaum, Leiter der Fraunhofer-Arbeitsgruppe Supply Chain Servcies SCS, hat uns gleich professionelle Anwender aus Industrie und Logistik genannt, die von stromsparenden Funkempfängern profitieren würden. Daraufhin hat uns der Institutsleiter Prof. Heinz Gerhäuser ausdrücklich dazu »aufgefordert«, sofort ein internes Forschungsprojekt zur »Entwicklung einer integrierten WakeUp-Receiver-Lösung für drahtlose Sensornetze in der Logistik« zu beantragen. Plötzlich entwickelt das Ganze eine ungeheure Dynamik. Mit so einem Ultra-Low-Power-Funkempfänger könnte man vielleicht eine Nische am Markt schließen, z. B. in Smartphones, Computern oder im Mobilfunk. Schließlich gibt es ja nichts Vergleichbares.«

Mai 2008 – Idee beim Gassi-Gehen

Frank Oehler: »Neulich war ich wieder mit unserem Hund unterwegs. Da kam mir die zündende Idee zu einer wirklich stromsparenden und empfindlichen Empfängerlösung, die auf einem Samplingverfahren im UHF-Bereich beruht. Die besten Ideen habe ich immer beim Gassi gehen. Wir sollten auch den Chip nach unserem Hund benennen: »Dune«. Bei einer ersten Simulation stelle ich fest, dass es funktionieren könnte. Der Stromverbrauch wird damit unglaublich niedrig und man bekommt trotzdem eine vernünftige Empfindlichkeit hin! Trotzdem – oder gerade deshalb? – frage ich mich immer wieder: Wo ist der Haken? Warum kann das nicht funktionieren?«

© Frank Oehler
Der Chip wurde nach Frank Oehlers Hund benannt: »Dune«.
© Fraunhofer IIS
Erste Skizzen für die Empfänger-Schaltung.

Mai 2008 – Zweifel ausgeräumt

Heinrich Milosiu: »Franks Lösungsansatz ist genial. Zwar hat er zuerst noch nicht so recht daran geglaubt, aber ich konnte ihm die Bedingungen für einen erfolgreichen Betrieb basierend auf dem neuen Empfängerkonzept aufzeigen. Damit sind die Zweifel ausgeräumt. Diesen Empfängeransatz könnte ich auch in meiner Dissertation vertiefen. Jetzt steht die Implementierung als ASIC an, was wir nun in einem internen Forschungsprojekt mit ausreichend Budget erstmals umsetzen können. Dabei liefert auch unser neuer Kollege Markus Eppel gute Anregungen für ein robustes IC-Design.«

November 2010 – erster Erfolg auf der Electronica

Heinrich Milosiu: »Unser dritter Testchip ist endlich erfolgreich. Auf der Electronica haben wir den ersten funktionierenden Chip mit einem Stromverbrauch von 29 µA präsentiert.«

 

Oktober 2011 – Rückschläge

Frank Oehler: »Seit einiger Zeit läuft es nicht besonders gut. Wir erleben verschiedene Rückschläge bei der Implementierung des WakeUp-Receivers. In einem Projekt der Bayerischen Forschungsstiftung geht mittendrin die Halbleiter-Firma pleite, die monatelange Designarbeit war umsonst. Wir müssen uns immer wieder um neue Projekte kümmern, um die WakeUp-Technologie voranzubringen, dabei jedes Mal die Halbleitertechnologie wechseln. Das kostet unheimlich viel Zeit und fordert unsere Ausdauer heraus, die Technologie marktreif zu machen.«

© Fraunhofer IIS
Der dritte Test-Chip kam auf der Electronica gut an.

März 2013 – entscheidende Verbesserungen

Heinrich Milosiu: »Im Projekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung »AETERNITAS« haben wir einen weiteren wichtigen Schritt in der WakeUp-Receiver-Entwicklung gemacht. Erstmals können wir die Empfindlichkeit um 20 dB auf -83 dBm verbessern. Damit gewinnen das Projekt und unser Erfindergeist weiter an Fahrt. In einem ersten Entwicklungs- und Lizenzvertrag mit einem namhaften Halbleiter-Hersteller können wir entscheidende Verbesserungen für den praktischen Betrieb implementieren. Damit erreichen wir einen robusten Funkempfang auch bei Funkstörungen sowie eine sehr geringe Stromaufnahme unterhalb 3 µA. Das ermöglicht eine Betriebsdauer von zehn Jahren mit einer Knopfzelle und eine permanente Überwachung des Funkkanals. Selektives Aufwecken ist ein nützliches Feature für den Betrieb in drahtlosen Netzwerken.«

© Fraunhofer IIS
Die drei Varianten von RFicient®: Locate, Scan und Spot.

Dezember 2014 – Idee am Kaminfeuer und erste Erträge

Frank Oehler: »Unsere WakeUp-Technologie heißt nun »RFicient®«, der Name ist uns im Fraunhofer-Forschungscampus in Waischenfeld am Kaminfeuer eingefallen: Radio Frequency Integrated Circuit (RFIC) + effizient. Dabei haben wir die Grundidee des Abtastfunkempfängers erweitert und auf andere Anwendungsbereiche ausgedehnt. Neben RFicient®Basic – dem klassischen WakeUp-Receiver – gibt es nun drei weitere Varianten: RFicient®Locate zur stromsparenden Lokalisierung mobiler Funkknoten, RFicient®Scan, mit dem man Funkspektren mobil messen und über die USB-Schnittstelle in Echtzeit analysieren kann, und RFicient®Spot zur Erkennung von Funksignalen bestimmter Funkstandards.

Wir verzeichnen erste Lizenzerträge!«

 

Januar 2015 – Pilotprojekt für das Leistungszentrum Elektroniksysteme

Heinrich Milosiu: »Beim Leistungszentrum Elektroniksysteme LZE sind wir am Pilotprojekt »Energieautarkes Asset-Tracking-System für Logistikanwendungen« beteiligt. Dabei geht es um extrem stromsparende Elektroniklösungen für das Internet der Dinge. Am Beispiel einer leistungsfähigen Logistikanwendung haben wir ein spezielles wartungsarmes Ortungssystem entwickelt. Damit können wir Güter in einer Lagerhalle oder auch im Außenbereich lokalisieren und nachverfolgen. Unser Funkempfänger braucht so wenig Strom (< 10 Mikroampere), dass sogar eine »Erdbeerbatterie« ausreicht.«

Dezember 2016 – reges Interesse an RFicient®

Heinrich Milosiu: »Im November haben wir unseren Ultra-Low-Power-Funkempfänger auf der Electronica vorgestellt. Seitdem gibt es ein reges Interesse daran und wir haben viele Kundenanfragen aus verschiedenen Richtungen. Das war bisher unsere erfolgreichste Messe! Die Anwendungsmöglichkeiten werden immer vielfältiger. RFicient® wäre eine super Komponente für das Internet der Dinge, um IoT-Objekte – d. h. Gegenstände des täglichen Lebens – drahtlos, sehr schnell und extrem stromsparend zu erreichen, für Smart Labels (elektronische Etiketten), für Logistikanwendungen, Lagerhaltung, Gebäudeautomatisierung oder Fernwartung. Was man alles damit machen kann, hätten wir 2008 nicht für möglich gehalten.«

Mai 2017 – Weiterentwicklung

Heinrich Milosiu: »Unsere RFicient®-Technologie wird nun in zwei Projekten weiterentwickelt:

Ein WakeUp-Receiver, der auf drei verschiedenen Frequenzbändern gleichzeitig Funktelegramme mit nur 6 µA empfängt. Damit sind u. a. auch weltweite mobile Anwendungen ohne manuelle Frequenzumschaltung möglich.

Zwei Chips, die extrem stromsparend den Funkraum ständig überwachen. Die User-Anwendung schaltet sich aus, wenn der betreffende Funkdienst gar nicht verfügbar ist bzw. schaltet sich automatisch wieder ein. Das spart Energie und führt zu einer längeren Akkulaufzeit z. B. eines Smartphones. Wozu sollte ein Handy in Betrieb sein, wenn es gar keinen Empfang hat und dabei unnötig Strom verbraucht?

Wir hätten nicht geahnt, wie sich das einmal entwickeln würde und was man alles damit machen kann. Trotzdem dürfen wir nicht stehen bleiben und »nicht im eigenen Saft schwimmen«. Der Austausch mit Kunden, Anwendern und Kollegen aus anderen Fachabteilungen ist extrem wichtig. Außerdem geht es darum, weitere Anwendungsmöglichkeiten zu finden: In einer virtuellen Welt Alltagsgegenstände stromsparend fassbar und erreichbar zu machen, um beispielsweise Koffer, smarte Turnschuhe, Schlüssel und weitere persönliche Gegenstände aufzufinden. Wir möchten RFicient® als Open-Source-Technologie zugänglich machen, die im Prinzip für alles einsetzbar ist. Die Anwendungsmöglichkeiten für wartungsarme, stromsparende Lösungen sind praktisch unbegrenzt.«

August 2017 – auf dem Weg zur Serienreife

Frank Oehler: »Um auch für den Einsatz unserer Technologie in der realen Welt gewappnet zu sein, entwickeln wir sichere Zugriffsverfahren, damit sich kein Anwender mehr Sorgen wegen unerlaubtem Zugriff durch Dritte machen muss.

Die RFicient®-Technologie ist in Silizium erprobt und verifiziert und kann als ASIC oder IP für höher integrierte Chips eingesetzt werden. Derzeit arbeiten wir mit Hochdruck daran, einen serienreifen WakeUp-Receiver fertigzustellen und zu vermarkten.«

© Fraunhofer IIS/Frank Oehler
Die RFicient®-Technologie kann nun als ASIC oder IP eingesetzt werden.

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