»Digitales Gesundheitsdorf im Oberen Rodachtal« schafft Vernetzung für die medizinisch-pflegerische Versorgung im ländlichen Raum

Im »Digitalen Gesundheitsdorf Oberes Rodachtal (DIGI-ORT)« erforscht das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS unter Projektleitung seiner Fraunhofer-Arbeitsgruppe für Supply Chain Services SCS gemeinsam mit dem Caritasverband für den Landkreis Kronach e.V. sowie den Bürgerinnen und Bürgern der drei Gemeinden Nordhalben, Steinwiesen und Wallenfels die Potenziale der Digitalisierung zur Verbesserung der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung. Mittels einer digitalen Plattform werden ambulante Pflegedienste, Hausärztinnen und -ärzte sowie Pflegebedürftige, chronisch Kranke und deren Angehörige vernetzt, um Abstimmungsprozesse zu vereinfachen. Zusätzlich wird der Einsatz von neuen, textilintegrierten Vitaldatensensoren und am Markt verfügbaren technischen Assistenzsystemen untersucht, um ein selbständiges Wohnen im eigenen Zuhause zu unterstützen. Das Projekt wird seit September 2018 durch das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege gefördert. In einem Pressegespräch gemeinsam mit Staatsministerin Melanie Huml wurde »DIGI-ORT« gestern der Öffentlichkeit vorgestellt.

Selbstbestimmtes Leben und Wohnen im Alter

Ziel des Forschungsprojekts ist es, die gesundheitliche Versorgung im ländlichen Raum durch die Möglichkeiten der Digitalisierung zu verbessern. Die Arbeitsgruppe für Supply Chain Services SCS und der Forschungsbereich Smart Sensing and Electronics des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Schaltungen IIS erforschen, wie ältere Menschen, Patienten und Pflegebedürftige unterstützt werden können, damit sie länger selbstständig in der eigenen Wohnung leben können: Die beteiligten Akteure werden dazu näher zusammengebracht und mit digitalen Technologien vernetzt. Wie sehr das Konzept überzeugt, zeigt der Gewinn des Sonderpreises im Wettbewerb »Stadt.Land.Digital« Anfang des Jahres. Ausgezeichnet wurde DIGI-ORT für seinen besonders innovativen Beitrag zum digitalen Wandel in Stadt und Land. Vor allem die Idee der Vernetzung der häuslichen Umgebung der Bürger mit Akteuren des Gesundheitswesens – Hausärzten und ambulanter Pflege – wurde gewürdigt, da durch diesen Ansatz unterschiedliche Beteiligte optimal miteinander verbunden werden können. Dies kommt besonders kleinen Gemeinden in ländlichen Regionen zugute.

Herausforderungen in Gesundheit und Pflege

In ländlichen Regionen in Deutschland, wie dem Oberen Rodachtal im Landkreis Kronach mit seinen ca. 8.000 Einwohnern, führen schon heute mehrere Faktoren zu einer angespannten Situation in der ärztlichen und pflegerischen Versorgung: Einer wachsenden Personengruppe an betreuungs- und pflegebedürftigen Menschen steht eine kleiner werdende Anzahl von jüngeren Menschen sowie Ärztinnen und Ärzten gegenüber. Im Oberen Rodachtal sind heute bereits 25 Prozent der Bürgerinnen und Bürger über 65 Jahre alt; und dieser Anteil wird sich weiter erhöhen – bis zum Jahr 2028 auf voraussichtlich 33 Prozent.

Landrat Klaus Löffler kennt die Herausforderungen seines Landkreises genau – und hat sich proaktiv auf die Suche nach Lösungen begeben: »Das Landratsamt Kronach hat die Initiative ›Digitales Dorf Bayern‹ der Bayerischen Staatsregierung aufgegriffen. Gemeinsam mit den Bürgermeistern der Gemeinden Wallenfels, Steinwiesen und Nordhalben sowie dem Verein ›e2 health und Telemedizin Oberfranken e.V.‹ haben wir überlegt, wie wir die Gesundheitsversorgung der Menschen im Oberen Rodachtal verbessern können. Aus diesen Überlegungen heraus ist das »Digitale Gesundheitsdorf Oberes Rodachtal« entstanden, das nun mit dem Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS und dank der Unterstützung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege umgesetzt werden kann.«

Chancen durch digitale Vernetzung

Langfristig soll die ärztliche und pflegerische Versorgung auf dem Land insbesondere für ältere Bürger verbessert werden. Hier sollen neue digitale Lösungen eine angemessene und menschenzentrierte Versorgung auch in Zukunft sicherstellen. Die Idee von DIGI-ORT: Mittels einer digitalen Plattform werden ambulante Pflegedienste, ärztliches Fachpersonal sowie Bürgerinnen und Bürger, Pflegebedürftige und deren Angehörige vernetzt, um Abstimmungsprozesse zu vereinfachen. Über diese digitale Plattform sollen Gesundheits- und Pflegedaten von Hausärztinnen und -ärzten und ambulantem Pflegedienst ausgetauscht werden. Darüber hinaus werden Daten aus der häuslichen Umgebung und damit aus dem Alltag der Bürger und Patienten in die Plattform integriert: In DIGI-ORT wird einerseits der Einsatz neuartiger, textilbasierter Vitaldaten-Monitoring-Systeme wie auch die Anbindung kommerziell verfügbarer AAL-Systeme (Active Assisted Living) erprobt. Die Patientinnen und Patienten behalten dabei stets die Hoheit über die Verwendung und Freigabe ihrer Gesundheitsdaten. Technische und organisatorische Konzepte zur Datensouveränität gewährleisten ein Höchstmaß an Datenschutz und Datensicherheit. Die Patientinnen und Patienten bestimmen jederzeit selbst, welche Daten sie mit wem teilen möchten. Ergänzend zu den digitalen Lösungsansätzen wird auch eine lokale Anlaufstelle eingerichtet. Diese informiert und berät die Bürger und Patienten des Oberen Rodachtals zu den Möglichkeiten des technikunterstützten Wohnens und koordiniert darüber hinaus einen ehrenamtlichen Begleitdienst, der ebenfalls ehrenamtliche Angebote, z. B. die Unterstützung bei Arztbesuchen und Einkäufen, vermittelt.

Digitale Lösungen zu den Bürgerinnen und Bürgern bringen

Das Projekt wird in Zusammenarbeit mit den regionalen Hausärztinnen und -ärzten und dem ambulanten Pflegedienst des Caritasverbandes Kronach sowie mit Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger der drei Gemeinden Nordhalben, Steinwiesen und Wallenfels durchgeführt, die sich zur Region »Oberes Rodachtal« zusammengeschlossen haben. Die Bewohnerinnen und Bewohner vor Ort können aktiv am Projekt teilnehmen. Ein ehrenamtlicher Begleitdienst und eine lokale Anlaufstelle wurden initiiert. Diese bieten interessierten Bürgerinnen und Bürgern sowie den Projektbeteiligten breite Informationsangebote zu den technologiebasierten Unterstützungsmöglichkeiten und neuen Formen der Vernetzung. Die Ansätze zur Digitalisierung und Vernetzung werden hier anschaulich und greifbar gezeigt. Über die Einbindung von Hausärztinnen und -ärzten und dem ambulanten Pflegedienst hinaus werden zudem auch mehrere Haushalte im Oberen Rodachtal mit vernetzten Technologien aus dem Bereich AAL und textilbasierten Vitaldaten-Monitoring-Systemen ausgestattet – um diese in realen Umgebungen zu erforschen und zu erproben. So sind alle beteiligten Akteure in die praktische Umsetzung eingebunden; ihr Feedback wird regelmäßig mittels qualitativer Befragungen eingeholt.

Die Chancen durch digitale Vernetzung betont auch Staatsministerin Melanie Huml: »Die Digitalisierung kann den Menschen den Alltag erleichtern – auch in der Pflege. Mit DIGI-ORT wollen wir Digitalisierung erlebbar machen und aufzeigen, wie Pflegebedürftige in ihrer häuslichen Selbstständigkeit gestärkt und Pflegende entlastet werden können. Über den Zeitraum von drei Jahren soll eine digitale Plattform entstehen, die den Datenaustausch zwischen häuslicher Umgebung, ambulantem Pflegedienst, Allgemeinarzt, einer lokalen Beratungsstelle und einem ehrenamtlichen Begleitdienst ermöglicht. Daneben werden mehrere Haushalte im Gesundheitsdorf Oberes Rodachtal mit digitaler Assistenz-Technik (z.B. mobiler Notruf, Sturzerkennung, Geo-Fencing) ausgestattet. Es ist wichtig, dass der Einsatz von Technik über klassische Hilfsmittel wie Rollstühle oder Rollatoren hinausgeht. Ein Beispiel dafür sind sogenannte Smart-Home-Lösungen wie etwa die automatische Abschaltung aller elektronischen Geräte beim Verlassen der Wohnung oder automatische Rollladen- und Beleuchtungssteuerung.« Wichtig sei aber das Zusammenspiel von Mensch und Technik, so die Ministerin: »Es ist mir ein Anliegen, Vorbehalte in der Bevölkerung gegenüber der modernen Technik abzubauen. Wir wollen die Bürgerinnen und Bürger von den Vorteilen der digitalen Anwendungen überzeugen. Klar ist dabei: Technische Unterstützung ist nur dann sinnvoll, wenn sie nicht zulasten des persönlichen Kontakts geht. Moderne Technik soll assistieren – nicht ersetzen. Gute Pflege gelingt vor allem dann, wenn Freiräume für mehr menschliche Zuwendung geschaffen werden.«