Fraunhofer-Zentrum für Biogene Wertschöpfung und Smart Farming

Lösungen für eine nachhaltige Landwirtschaft

Umweltschutz fördern und zugleich die Zukunftsfähigkeit und Resilienz der Lebensmittelversorgung unserer Gesellschaft gewährleisten – dies steht im Fokus des Fraunhofer-Zentrums für Biogene Wertschöpfung und Smart Farming, das die Fraunhofer-Gesellschaft in den Bundesländern Bayern und Mecklenburg-Vorpommern etabliert. Am Donnerstag, den 28. Juli, trafen sich die Verantwortlichen der Teilinitiative Bayern zu einem Kick-off-Meeting mit dem Bayerischen Staatsminister für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie Hubert Aiwanger am Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV in Freising.

Förderbescheid-Übergabe 28. Juli 2022
© Fraunhofer/Markus Juergens
Förderbescheid-Übergabe am 28. Juli 2022, von links: Prof. Raoul Klingner, Direktor Forschung der Fraunhofer-Gesellschaft, Prof. Albert Heuberger, Institutsleiter Fraunhofer IIS, Prof. Amelie Hagelauer, Institutsleiterin Fraunhofer EMFT, Staatsminister Hubert Aiwanger, Prof. Jens Peter Majschak, Institutsleiter Fraunhofer IVV

Mit technologischen Innovationen einen Mehrwert für die Landwirtschaft generieren: Dieses Ziel vor Augen erforschen und entwickeln Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Fraunhofer-Zentrum für Biogene Wertschöpfung und Smart Farming Technologien für nachhaltige landwirtschaftliche Erzeugnisse entlang der gesamten Wertschöpfungskette – vom Saatgut bis zum veredelten Produkt.

»Dieses neue Zentrum soll sich mit der Zukunft der Landwirtschaft befassen. Mit 20 Millionen Euro fördern wir diese anwendungsorientierten Forschungen im Bereich Land- und Ernährungswirtschaft, weil Bayern im Bereich der nachhaltigen Landwirtschaft ganz vorne mitspielen will. Die Landwirtschaft steht angesichts von ökologischen Auflagen, begrenzter Landflächen, Endlichkeit fossiler Ressourcen und Lebensmittelqualität vor Mammutaufgaben. Das Netzwerk aus Wissenschaft, Landwirten und Unternehmen wird die bayerische Landwirtschaft bei Tierwohl, bei Biodiversität und Verbraucheransprüchen unterstützen und beraten. Es wird zur Sicherung der bayerischen Landwirtschaftsbetriebe und der regionalen Lebensmittelproduktion einen großen Beitrag leisten«, so Hubert Aiwanger, Bayerischer Staatsminister für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie.

»Die Landwirtschaft sieht sich aufgrund der wachsenden Anforderungen an Umweltschutz, Lebensmittelqualität und Nachhaltigkeit bei begrenzten Landflächen, fossilen Ressourcen und Fachkräftemangel immer größeren Herausforderungen gegenüber. Mithilfe hochindividualisierter Technologien werden die Betriebe in die Lage versetzt, Nutzpflanzen und -tieren durch optimierte Nährstoffversorgung und intelligente Tierwohlkontrolle bestmögliche Wachstumsbedingungen zu bieten. Darüber hinaus ermöglicht der Einsatz von automatisierten, durch Robotik und KI gestützten Prozessen eine nachhaltige Ressourcenschonung für Mensch, Tier und Umwelt. So bleiben die Interessen von Ökonomie und Ökologie gleichermaßen gewahrt«, erläutert Prof. Reimund Neugebauer, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, anlässlich des Kick-off-Meetings in Freising. »In diesem Sinne adressiert das Fraunhofer-Zentrum für Biogene Wertschöpfung und Smart Farming die gesamten Wertschöpfungskette vom landwirtschaftlichen Rohstoff über die Lebensmittelverfahrenstechnik bis hin zum finalen Produkt. Dies umfasst auch die transdisziplinäre Forschung zwischen Digitalisierung, Elektronik, Robotik, Maschinenbau und Prozesstechnik. Damit sichern wir nicht nur langfristig unsere heimische, qualitativ hochwertige Lebensmittelproduktion, sondern leisten auch einen Beitrag zur Sicherung der regionalen Landwirtschaftsbetriebe.«

Kooperationsplattform für komplexe Systemlösungen

Das Vorhaben ist als virtuelle Kooperationsplattform mit zwei Teilinitiativen auf Bundesländer-Ebene und mehreren Standorten organisiert. Dabei haben beide Teilinitiativen einen klaren inhaltlichen Schwerpunkt, der gezielt auf die spezifischen Bedarfe, Herausforderungen und Randbedingungen der jeweiligen Region ausgerichtet ist.

Dafür werden vor Ort geeignete Infrastrukturen aufgebaut. Für die Projektarbeit greifen die Forscherinnen und Forscher auf gemeinsame Methoden- und Technologiebaukästen aus den Bereichen Robotik und Automatisierung, Sensorik, Analytik und Aktorik, KI und Big Data sowie Konstruktion, Produktion und Verfahrenstechnik zurück. Auf diese Weise lassen sich die jeweiligen Kernkompetenzen der einzelnen Institute effektiv bündeln und komplexe Systemlösungen standortübergreifend für unterschiedliche Anwendungsfelder realisieren – auch unter Einbeziehung regionaler und überregionaler Kooperationspartner.

Das Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV, das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS sowie die Fraunhofer-Einrichtung für Mikrosysteme und Festkörpertechnologien EMFT bilden die Basis der bayerischen Teilinitiative. Ihre Fachkräfte realisieren die technologische Begleitung von exemplarisch ausgewählten Pflanzen mit hoher Relevanz für die regionale Landwirtschaft. Übergreifende Entwicklungsziele sind hierbei die Qualitäts- und Ertragssteigerung, eine Beschleunigung der traditionellen Pflanzenzucht sowie die Optimierung der Vertriebswege, Verarbeitung und Verpackung.

Ganzheitliche Wertschöpfung von Obst und Gemüse

Das Fraunhofer IVV startet mit einer Reihe ausgewählter Projekte zu einer nachhaltigen, ressourcenschonenden Nutzung regionaler Rohstoffe. Vorgestellt wurde zum Kick-off ein Projekt zur ganzheitlichen Wertschöpfung von Obst und Gemüse. Diese zählen zu den leicht verderblichen Agrarprodukten, weshalb die Nachernteverluste beträchtlich sind. In Industrieländern gehen jährlich rund zehn bis 15 Prozent der geernteten Kulturen verloren, zudem sind die wirtschaftlichen Einbußen enorm: rund vier Milliarden Euro entstehen pro Jahr allein in Deutschland.

Das Team am Fraunhofer IVV forscht deshalb an neuen Konzepten zur Nutzung von mikrobiell einwandfreiem Obst und Gemüse, das nicht mehr in den direkten Verkauf gehen kann. Dazu zählt beispielsweise Obst, das aus Gründen der Überreife nicht mehr zum Transport geeignet oder aufgrund der Wuchsform keiner Handelsklasse zuzuordnen ist. Diese Rohstoffe sollen zukünftig möglichst sofort nach Feststellen der Nichtverkaufbarkeit zu hochwertigen Produkten weiterverarbeitet werden, zum Beispiel zu Frucht- oder Gemüsekonzentraten, Frucht-Gemüsepürees oder als gesunder Snack zu getrockneten Fruchtprodukten. Dank der zukünftig zur Verfügung stehenden agilen und mobilen Prozesse und Anlagen werden Lebensmittelverluste reduziert und wird die Wertschöpfung erhöht. Zudem erarbeiten die Forschenden Szenarien, die es den Landwirten ermöglichen sollen, an der Verarbeitung und dem Direktvertrieb dieser Produkte mitzuwirken und so neue Geschäftsmodelle aufzubauen.

Technologiezentrum zur Phänotypisierung

Der Fokus des Fraunhofer-Entwicklungszentrums Röntgentechnik EZRT, eines Bereichs des Fraunhofer IIS, liegt auf der Entwicklung von Technologien zum Pflanzenmonitoring ausgehend von der Datenaufnahme bis zur Entscheidungsfindung. Am Standort Triesdorf entsteht innerhalb des Fraunhofer-Projektes »Biogene Wertschöpfung und Smart Farming« ein Technologiezentrum zur Phänotypisierung, in dem miteinander kombinierte Sensorsysteme zum Einsatz kommen. Hierbei ist das Ziel, objektiv anwendungsrelevante pflanzliche Merkmale von der Pflanzenzucht über den Anbau bis zur Ernte zu erfassen und anschließend als Entscheidungsunterstützung für die Vermehrung und Weiterzucht bereitzustellen. Die Sensorsysteme kommen sowohl in kontrollierter Klimaumgebung als auch praxisnah auf dem Feld zum Einsatz.

Die Entwicklung nachhaltiger, ressourceneffizienter Technologien zur Phänotypisierung trägt langfristig zur Versorgungssicherheit ganzer Regionen bei, indem unter anderem die Optimierung von Anbaubedingungen oder die Züchtung neuer Sorten technologisch unterstützt werden. Bei der Züchtung neuer Pflanzen liegt der Schwerpunkt auf resilienten Sorten, die den veränderten Umwelteinflüssen standhalten, qualitativ hochwertige Inhaltsstoffe bieten und einen höheren Ernteertrag erzielen. Unter dem Gesichtspunkt der stetig wachsenden Bevölkerung, der Folgen des Klimawandels und des Wandels zu einer nachhaltigen Landwirtschaft ist eine Beschleunigung der Züchtung ein Schlüsselfaktor. Im Fokus des Projektes sind deshalb für die regionale Landwirtschaft und Lebensmittelversorgung relevante Pflanzen, die exemplarisch ausgewählt und untersucht werden.

Sensoren auf Pflanzenblättern

Die Fraunhofer EMFT bringt ihre Kompetenzen in den Bereichen Sensortechnologien, Systemintegration und Mikroaktorik in das Zentrum ein. Dieses Know-how liefert die Grundlagen für innovative Technologien und Systeme zur Messung verschiedener Umweltparameter, unter anderem bei Pflanzenzucht und Tierhaltung. Die Forschenden entwickeln etwa Biosensoren zur Detektion von Viruskrankheiten bei Pflanzen oder Ökotoxizität. In einem aktuellen Vorhaben werden die Sensoren dabei direkt auf die Pflanzenblätter gedruckt. Auch Mikrodosiersysteme, eine Kernkompetenz der Fraunhofer EMFT, bietet im Bereich Smart Farming großes Potenzial: Die Integration von Mikropumpen in Gas-Sensorsysteme verbessert die Ansprechzeit der Sensoren signifikant. Ein aktuelles Anwendungsbeispiel ist ein hocheffizientes miniaturisiertes Ammoniak-Sensorsystem für den Einsatz in Tierhaltungsanlagen.

Weitere Forschungsprojekte der Münchner Fraunhofer-Einrichtung beinhalten die Integration von Gassensoren in Verpackungen, um die Qualität von Lebensmitteln zu überwachen, elektrochemische Sensoren für Nitratmessungen im Boden sowie mikro-fluidisch aktive Saugkerzen. Bei der Analyse und Weiterverarbeitung der Sensordaten kommen die Kompetenzen der Forschenden im Bereich Machine Learning für Sensorsysteme zum Einsatz. Um sichere und robuste Funktionalität der Systeme unter harten Umweltbedingungen zu gewährleisten, wendet die Fraunhofer EMFT ihre umfangreichen Kompetenzen im Bereich Sichere Elektronik an.

Finanzierung durch Bund und Länder

Der Finanzbedarf für das Fraunhofer-Zentrum für Biogene Wertschöpfung und Smart Farming in Bayern und Mecklenburg-Vorpommern umfasst insgesamt 80 Millionen Euro, die zu gleichen Teilen von Bund und Ländern aufgebracht werden. Die Finanzierung der beiden Teilinitiativen wird damit mit 20 Millionen Euro vom jeweiligen Bundesland sowie insgesamt mit 40 Millionen Euro aus Bundesmitteln getragen.