Kleiner Winkel, großer Effekt - Röntgenkleinwinkelstreuung für die Batterieforschung

19.04.2024 | Sicherheit und Leistung von Batterien überprüfen

Röntgenkleinwinkelstreuung (engl.: small-angle-X-ray-scattering, SAXS) ist eine nicht-bildgebende Analysemethode auf Basis von Röntgenstrahlung, die zur Charakterisierung von Materialien verwendet wird. Sie kommt vor allem dann zum Einsatz, wenn klassische bildgebende Methoden wie Radiographie oder Computertomographie kleine Strukturen im Nanometerbereich nicht mehr auflösen können. Die Gewinnung von wertvollen Messwerten und statistischen Aussagen über Materialien ist mit der Röntgenkleinwinkelstreuung also ohne aufwändige Bildverarbeitung möglich. Die Technologie macht auf diese Weise auch Batterien sicherer und leistungsfähiger. Wie genau funktioniert das? Darüber sprachen wir mit Dr. Bernhard Schummer vom Entwicklungszentrum Röntgentechnik im Interview.

© Fraunhofer IIS
Röntgenkleinwinkelstreuung

Herr Schummer, Röntgenkleinwinkelstreuung klingt nach einem komplexen Verfahren. Wofür nutzt man diese Technologie?

 

Die Röntgenkleinwinkelstreuung wird vorwiegend in der Grundlagenforschung verwendet. Ohne diese Technologie wären keine Informationen über Strukturen von Nanomaterialien im umgebenden Medium – wie zum Beispiel einer Lösung – möglich. Darüber hinaus ist die Technologie im Bereich Forschung und Entwicklung generell eine sehr bedeutsame Methode – auch im Hinblick auf Batterieforschung, Stichwort nachhaltige Elektromobilität

Ein sehr wichtiges Thema für das Entwicklungszentrum Röntgentechnik. Wie kann die Röntgenkleinwinkelstreuung bei der nachhaltigen Elektromobilität helfen?

 

Bei der Batterieentwicklung ist die richtige Materialzusammensetzung fundamental für Sicherheit und Leistung. Batterien müssen stabil sein, dürfen sich nicht aufblähen, ihre Kapazität muss über lange Zeit möglichst konstant sein.  Wenn beispielsweise die Kapazität zu schnell sinkt, muss man herausfinden, woran das liegt. Auf Nanoebene sind Batterien mit Poren ausgestattet, durch die Elektronen und Ionen von Material zu Material übergehen. Für eine normale Funktionsweise müssen diese Poren offenbleiben. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen sind verstopfte Poren ein Grund für die sinkende Kapazität. Wie untersuche ich also, ob das der Fall ist?

 

Typischerweise werden in der Vorentwicklung einfache Knopfzellen zur Erprobung verwendet. Eine Möglichkeit wäre es nun, die Batterie zu öffnen und mit einem Elektronenmikroskop nachzusehen. Das hat den Nachteil, dass sie dabei nicht nur zerstört wird, sondern durch das Auftrennen die Schichten und Materialstrukturen verändert werden. Zudem wird gleichzeitig immer nur ein kleiner Ausschnitt sichtbar. Bei der Röntgenkleinwinkelstreuung hingegen kann man die Knopfzellen belassen, wie sie sind, und mit einem Vorgang gleich einen größeren Bereich untersuchen. Die Änderung der Porengröße ist dabei mit Röntgenkleinwinkelstreuung zuverlässig messbar. Vor allem aber können durch In-Situ Messungen beim Laden und Entladen Prozesse in der Batterie nachvollzogen werden.

Des Weiteren haben Lithium-Nanopartikel - welche häufig für Batterien verwendet werden - die Tendenz, sich über die Ladezyklen hinweg auszudehnen oder gar sich zu zersetzen. Die Partikelgrößen sollten aber immer möglichst gleichbleiben. Hier machen schon wenige Nanometer einen großen Unterschied. So eine Veränderung ist mit herkömmlichen Methoden leicht zu übersehen. Wir können sie zuverlässig feststellen.

Das hört sich nach einem Qualitätssprung für die Batterieentwicklung an. Wie aber funktioniert die Technologie überhaupt?

 

Vereinfacht gesagt werden bei der Röntgenkleinwinkelstreuung Winkeländerungen durch die Wechselwirkung der Röntgenstrahlung mit dem Objekt gemessen. Physikalisch gesehen können Röntgen-Photonen, die eine Materie durchdringen, unterschiedliche Wechselwirkungen zeigen. Dabei wird zwischen Wechselwirkung mit und ohne Energieerhaltung unterschieden. In der Röntgenkleinwinkelstreuung wird ausschließlich die Wechselwirkung ohne Energieverlust in einem kleinen Winkel gestreut – daher auch der Name Kleinwinkelstreuung. Die Voraussetzung, um überhaupt die Streuung messen zu können, ist dabei, dass der Röntgenstrahl monochromatisch ist – das heißt, er hat nur eine Wellenlänge bzw. Frequenz.

Nachdem die Röntgenstrahlung die Probe durchdrungen hat, trifft diese auf einen flächigen Detektor, welcher die Intensitätsverteilung misst. Das dort abgebildete Streumuster sehen wir uns genauer an. Mithilfe mathematischer Berechnungen lassen sich schließlich Partikelgröße und Form, Dichte und manchmal auch Strukturen modellieren. Dies ermöglicht im Bereich von unter 150 Nanometern verschiedenste Materialien zu untersuchen.

Welche Anwendungsbeispiele für die Röntgenkleinwinkelstreuung gibt es noch? 

 

Generell kann jedes Material, das nanostrukturiert ist, untersucht werden. Heutzutage werden bei elektronischen Bauteilen immer mehr Materialien per Drucker aufgetragen. Mit einer flüssigen, metallischen Tinte werden so beispielsweise Leiterbahnen angebracht. Bei bestimmten Metallen kann das sehr schnell teuer werden, wenn dort Fehler wie beispielsweise eine falsche Partikelgröße auftreten – man denke an Gold oder Silbernanopartikel. Eine Überwachung mit Kleinwinkel-Röntgenstreuung würde sich also schnell rentieren.

Besonders interessant sind weiterhin Proben im Nanometerbereich, die sich in Lösungen befinden. Keine andere gängige Methode wie z.B. die Elektronenmikroskopie ist in der Lage, Größen-, Form-, oder Dichteinformationen der Proben im gewünschten Medium zu gewinnen, da diese zum Messen beispielsweise für das Vakuum getrocknet werden müssen. 

Wie könnte sie der Kunde implementieren?

 

Kleinwinkel-Röntgenstreuung lässt sich gut als Live-Monitoring in den Produktionsprozess integrieren. Zudem ist es ein wichtiges Werkzeug bei der Entwicklung neuer Materialien, um die Strukturen im Nanometerbereich zu erfassen. Der Vorteil bei uns am Entwicklungszentrum Röntgentechnik ist dabei, dass wir die Technologie genau auf die Wünsche der Kunden anpassen können.

Herr Schummer, vielen Dank für das Gespräch

 

Interview von Lucas Westermann, Redakteur Fraunhofer IIS Magazin

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