Digitalisierung im ländlichen Raum

13. März 2019

© Fraunhofer IIS/Valentin Schilling
»Mobilität Digital Hochfranken«: Ein innovatives Mobilitätskonzept sorgt für eine bessere Vernetzung im ländlichen Raum auf Basis digitaler Lösungen.

Der ländliche Raum in Deutschland steht aufgrund der aktuellen demographischen Veränderungen vor einer Reihe von Herausforderungen. Digitalisierung bietet große Potenziale, um die Daseinsvorsorge aufrechtzuerhalten und den ländlichen Raum als Lebens- und Arbeitsraum wieder  attraktiver zu  machen. Wir entwickeln und untersuchen daher in einem interdisziplinären Team neue digitale Lösungen in den Lebensbereichen Nahversorgung, Medizin und Pflege, Bildung und Mobilität.

Deutschland besteht zu einem großen Teil aus »ländlichem Raum«, ca. 18 Millionen Einwohner lebten 2015 in den als »ländlich« bezeichneten Stadt- und Landkreisen. Der Großteil der ländlichen Räume steht derzeit jedoch vor einer Reihe von Herausforderungen: Die geringe Bevölkerungsdichte sowie prognostizierte Bevölkerungsrückgänge machen kommerzielle Angebote unrentabel und erschweren die Daseinsvorsorge. Dies macht ein Leben auf dem Land für die Bürgerinnen und Bürger immer weniger attraktiv.

Alle sind sich einig: Diese Entwicklung muss gestoppt werden. Eine Möglichkeit, um Ver- sorgungsangebote und neuartige Services wieder näher an den ländlichen Raum zu bringen und ihn damit als Wohn- und Arbeitsort wieder attraktiver zu machen, ist die Digitalisierung. Die Grundvoraussetzungen für die Digitalisierung des ländlichen Raums werden aktuell geschaffen: Mittlerweile haben mehr 90 Prozente der Haushalte auf dem Land eine Breitbandanbindung von 6 Mbit/Sekunde, etwa zwei Drittel verfügen über 16 Mbit/Sekunde und etwa ein Drittel über 50 Mbit/Sekunde.

Die Digitalisierung bietet die Möglichkeit, Angebote der Daseinsvorsorge, die nicht mehr länger in der Region vorgehalten werden können, digital zu erbringen oder bestehende Angebote qualitativ zu verbessern. Bisher ist jedoch wenig Handlungsbereitschaft seitens der Gemeinden zu beobachten – oft wissen die Beteiligten zu wenig über den Nutzen und darüber, an welchen Stellen anzusetzen ist. Wir untersuchen und illustrieren die Potenziale der Digitalisierung für einzelne Lebensbereiche daher in einer Reihe von Forschungsprojekten.

Nahversorgung mit Regionalprodukten

© Steinwald-Allianz
»Digitales Dorf«: Im Web-Shop können die Bewohner der Steinwald-Allianz ca. 200 Produkte bestellen, die der »Mobile Dorfladen« ausliefert.

Eine der großen Herausforderungen auf dem Land ist die Aufrechterhaltung der Versorgung mit Nahrungsmitteln. Bürgerinnen und Bürger müssen zunehmend weite Strecken zum nächsten Supermarkt zurücklegen, da kleine Läden in den Ortsmitten schließen, die großen Supermärkte siedeln sich dagegen nur in den einwohnerreichen Orten bzw. an den Ortsrändern an. Im Rahmen des Projekts »Digitales Dorf« haben wir gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering IESE und der Steinwald-Allianz, einem Zweckverband aus
16 Gemeinden im Landkreis Tirschenreuth, einen »Mobilen Dorfladen« ins Leben gerufen, welcher die Nahversorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs aufrechterhalten soll. Dreh- und Angelpunkt ist eine digitale Plattform, die Kunden, Betreiber und Erzeuger regionaler Waren miteinander ver- netzt. Um regionale Kreisläufe zu stärken, werden vorrangig die Produkte der regionalen Erzeuger angeboten.

»Es soll ein effizienterer Austausch zwischen ambulanter Pflege, Ärztinnen und Ärzten und häuslichem Umfeld ermöglicht werden.«

Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung durch Vernetzung

Telemedizinische und telepflegerische Angebote können die gesundheitliche Versorgung vor dem Hintergrund des Ärzte- und Pflegekräftemangels im ländlichen Raum aufrechterhalten. Mit dem Einsatz von Telemedizin und Telepflege sollen reguläre Leistungen nicht vollständig ersetzt werden. Digital unterstützte Leistungen sind jedoch schneller und kostengünstiger zugänglich sowie unabhängig von der Mobilität der Patientinnen und Patienten und des Fachpersonals. Im Projekt »Digitales Gesundheitsdorf Oberes Rodachtal« untersuchen wir eine ganzheitliche Vernetzung zwischen Bürgerinnen und Bürgern sowie Leistungserbringern der Gesundheits- und Pflegeversorgung im Landkreis Kronach. Mithilfe einer digitalen Plattform soll ein effizienterer Austausch zwischen ambulanter Pflege, Ärztinnen und Ärzten und häuslichem Umfeld ermöglicht werden.

Mit Digitalkompetenz zu mehr Teilhabe

Eine wichtige Voraussetzung für die Nutzung digitaler Angebote ist die Internetnutzung und Digitalkompetenz der Bürgerinnen und Bürger. Im Jahr 2017 waren 81 Prozent der deutschen Bevölkerung online, mit großen Diskrepanzen in Abhängigkeit von Alter und Bildungsstand. Im Projekt »Digitales Dorf: Wohnen und Bildung« entwickeln wir gemeinsam mit dem Landkreis Tirschenreuth flächendeckende Weiterbildungsangebote rund um das Thema Digitalisierung. Primäre Zielgruppe der Angebote sind ältere Menschen mit unterschiedlichem Erfahrungshintergrund. Der Fokus liegt auf niedrigschwelligen Angeboten, wie Seniorentreffs, ehrenamtlichen Lotsen oder Tandems aus Jung und Alt, da sich diese als besonders erfolgversprechend erwiesen haben.

Effizienter und bedarfsorientierter Personennahverkehr

Im Hinblick auf die Mobilität können digitale Lösungen zu einer stärkeren Vernetzung unterschiedlicher Verkehrsmittel beitragen und damit die häufig ausgedünnten Angebote des ÖPNV im ländlichen Raum ergänzen. Im Projekt »Mobilität Digital Hochfranken« entwickeln wir gemeinsam mit der Hochschule Hof, der TU München, dem Landkreis Wunsiedel und der Stadt Hof ein innovatives Mobilitätskonzept für den ländlichen Raum: aus regional verfügbaren Daten, wie Fahrplänen, Schulkalendern, Wetter- oder Veranstaltungsdaten, werden Mobilitätsbedarfe prognostiziert, um den öffentlichen Nahverkehr entsprechend der Bedarfe zu bedienen. Zudem werden Ideen entwickelt, um z. B. Car oder Bike Sharing oder autonom fahrende Busse in das Mobilitätsangebot einzubeziehen.

Bei den Projekten arbeiten unterschiedliche Disziplinen zusammen. Digitalisierungsprojekte erfordern den Einsatz von Informatik und Ingenieurswissenschaften, darüber hinaus beteiligen sich Forschende aus der Mathematik mit Fokus auf der Datenanalyse, aus der Betriebswirtschaft zur Verbesserung von Prozessen und Geschäftsmodellen sowie aus den Sozialwissenschaften zur Untersuchung individueller und gesellschaftlicher Einflussfaktoren.